05.03.20

Hospiz- und Palliativversorgung statt Sterbehilfe

Mit Erschrecken und Bedauern haben die Verantwortlichen des Hospiz Esslingen, das von der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Esslingen getragen wird, auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe reagiert.

Unabhängig von Alter oder Krankheit hätten nun Menschen das Recht, selbst über eine Beendigung ihres Lebens zu entscheiden und dazu Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das Urteil setze fatale Signale, meint Dekan Bernd Weißenborn. „Jetzt gehört die Selbsttötung zur Selbstbestimmung des Menschen.“ Stattdessen gelte es, alles zu fördern, was das Leben erhalte, den Willen zum Leben zu stärken und für Sterbende da zu sein. Genau dies geschehe in der Hospizarbeit und  durch die Palliativversorgung.

Susanne Kränzle, die Gesamtleiterin des Hospiz Esslingen, befürchtet zudem, dass Sterbehilfe nun eine „Therapieform“ unter anderen und damit zur Normalität werde. Zudem könnten sich alte, kranke oder hilfsbedürftige Menschen zum Suizid gedrängt fühlen, um nicht ihren Angehörigen oder der Gesellschaft zur Last zu fallen. Auch dass Menschen sich aus kurzfristigen Überlegungen etwa wegen einer Lebenskrise für das Sterben entscheiden, sei eine Gefahr. Besorgniserregend sei das Urteil, da es nun keine Kriterien wie etwa eine schwere Erkrankung mehr gebe. Kränzle fragt: „Wer entscheidet, ob ein Suizidwilliger ‚frei entschieden‘ handelt?“

Weißenborn und Kränzle, die bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe vor Ort waren,  halten es allerdings für eine Illusion zu glauben, dass das Leben völlig selbstbestimmt ist. Zudem sei der Suizid keine freie Entscheidung des Einzelnen allein sondern betreffe immer auch sein soziales Umfeld. Leben und Sterben seien letztlich für alle unverfügbar, so der Theologe.
 
Dennoch gelte es, die Autonomie der Person unbedingt zu würdigen und zu gewährleisten, so Weißenborn. „Bei aller kirchlichen Ablehnung des Urteils ergeben sich für uns aus dem Urteil seelsorgerliche Aufgaben.“ Betroffene, die sich für den assistierten Suizid entscheiden, müssten auf Wunsch seelsorgerlich begleitet werden. „Wir dürfen Menschen, deren Entscheidungen wir selbst nicht teilen und ablehnen, trotzdem nicht allein lassen. Als Kirchen müssen wir uns darauf einstellen, dass auch gläubige Menschen diesen Weg der assistierten Selbsttötung gehen.“

Kränzle, die Vorsitzende des Hospiz- und Palliativverbands Baden-Württemberg ist und als Sachverständige vom Bundesverfassungsgericht gehört wurde, meint zudem: „Sterbehilfeorganisationen werden in die Lücke springen, die durch die Zurückhaltung der Ärzte entsteht oder bestehen bleibt, und manche davon werden sich ihre ‚Dienstleistung‘ gut bezahlen lassen.“ Sie habe Bedenken, „dass wirtschaftliche Erwägungen sich geräuschlos in den Vordergrund schieben und es deutlich wird, dass Suizidbeihilfe kurz- und langfristig nicht so teuer ist wie eine sehr gute Pflege und Therapie“. Froh sei sie darüber, dass klar im Urteil stehe, dass niemand zur Beihilfe verpflichtet und gezwungen werden könne.

Kränzle glaubt zudem, „dass es nun nicht mehr weit sein wird, bis auch bei uns die Tötung auf Verlangen legalisiert werden wird“. Dafür habe das Bundesverfassungsgericht die Tür weit geöffnet.
Die Konsequenz für Hospiz- und Palliativdienste müsse sein, „unsere Angebote und Möglichkeiten nun noch bekannter machen – denn wir wissen, dass die meisten Menschen am Leben hängen und es gerne bis zuletzt erleben, wenn sie dafür gute Bedingungen haben“, so die Hospizleiterin. Im Hospiz sei man äußerst selten mit Suizidwünschen konfrontiert. Dort hat man eine klare Leitlinie: „Wir tun alles für eine gute Lebensqualität und nichts, was das Leben verkürzt oder unerwünscht verlängert. Wir stellen keine Möglichkeiten der Suizidbeihilfe zur Verfügung und begleiten Menschen nicht bei diesem Schritt.“ Noch mehr Begleitung, Aufklärung und Unterstützung fordert auch Weißenborn als Konsequenz aus dem Urteil.

Der Esslinger CDU-Bundestagsabgeordnete und Sprecher des interfraktionellen Gesprächskreises Hospiz im Bundestag, Markus Grübel, zeigt sich überrascht und erschrocken über die einseitige Betonung der Selbstbestimmung: „Das Urteil ist eine fundamentale Wende im Denken über Lebensschutz und selbstbestimmtes Sterben.“ Auch er sieht die Gefahr, dass der Tod zum Geschäft wird. Die Politik sei nun aufgefordert, schnell einen neuen Rechtsrahmen zu setzen. „Dazu gehört eine verpflichtende Beratung, Schutz vor Übereilung und ganz besonders Schutz von Minderjährigen.“ Er verstehe, dass  Ärzte Sicherheit brauchen, sagt Weißenborn. Es werde jedoch wichtig sein, dass die Kirchen sich bei den nun zu treffenden Regelungen des Gesetzgebers einbringen.

Für Grübel gilt es zu allererst, Menschen in Hospizen und Palliativstationen im Sterben zu begleiten, ihnen durch eine gute Schmerztherapie zu helfen, die Angst zu nehmen und ihnen ihre Würde auch in der Sterbephase zu belassen. „Darum werde ich weiter für gute Hospizarbeit und Palliativmedizin kämpfen.“